Monat: Dezember 2019

Lavant übersetzt

Die Lyrik Christine Lavants in russischer Übersetzung

© Ernst Peter Prokop

Immer wieder wagen sich ÜbersetzerInnen an die Lyrik Christine Lavants. Und so gibt es ihre Gedichte mittlerweile in den unterschiedlichsten Sprachen. Mit den Übersetzungen ins Russische beschäftigt sich eine wissenschaftliche Abschlussarbeit aus dem Jahr 2012. Das Textkorpus, das es an Übersetzungen ins Russische gibt, ist nicht allzu groß, vor allem wenn man es mit der Fülle an Übersetzungen von anderen österreichischen AutorInnen vergleicht. Nur der Gedichtband ,Die Bettlerschale‘ wurde als ganzes ins Russische übersetzt, allerdings als eine Art „Lesebuch“, d.h. als zweisprachigen Gedichtband. Abgesehen davon finden sich nur einzelne Gedichte in verschiedenen Anthologien. Die Diplomarbeit analysiert knapp 20 Übersetzungen mit einem sehr textnahen, strukturalistischen Ansatz.

Ein zentraler Befund dieser Übersetzungs-Analyse lautet: Lavants Lyrik zu übersetzen ist keine leichte Aufgabe. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, im Folgenden sollen vor allem drei kurz vorgestellt werden: 

Reim und Versmaß

Der Reim und das Versmaß spielt in Lavants Gedichten eine wesentliche Rolle. Wenn das Sprachsystem der Zielsprache sich stark vom deutschen Sprachsystem unterscheidet, wie das im Russischen der Fall ist, dann ist es sehr schwer, dem Originalgedicht sowohl äußerlich – also eben in Reim, Versmaß, Silbenanzahl, Strophenform, etc. – als auch inhaltlich zu folgen. Häufig entscheiden sich ÜbersetzerInnen dafür, dem Original entweder in der Form oder im Inhalt mehr zu entsprechen. Der jeweils andere Aspekt der Lyrik geht in so einem Fall aber beinahe zwangsläufig verloren. 

Komposita und Metaphorik

Für die Lyrik Christine Lavants sind neben ihrer – oft recht hermetischen – Metaphorik vor allem auch ihre Komposita, also zusammengesetzte Wörter, besonders typisch (z.B. Sonnenapfel, Bettlerschale, Trübsinnsstaude, uvm.). Andere Sprachen, wie auch das Russische, sind in der Kompositabildung weit weniger produktiv. Anders gesagt: Das Deutsche ist weithin bekannt dafür, speziell produktiv in der Kompositabildung zu sein (vgl. den gern als Beispiel herangezogenen Donaudampfschifffahrtskapitän und seine Mütze). Im Russischen werden diese Worte häufig mit Genetivkonstruktionen umschifft, was inhaltlich manchmal funktioniert, in anderen Fällen aber eine große Bedeutungsänderung bewirkt. Besonders problematisch wird diese Art der Übersetzung bei Komposita, die im Deutschen als fixe Wendungen gebraucht werden, über den deutschen Sprachraum (bzw. oft nur über die Grenzen Österreichs oder auch nur des Kärntner Lavanttals) hinaus, gänzlich unbekannt sind. So werden in den beiden russischen Übersetzungen des Gedichts „Es riecht nach Schnee“ (s.u.) aus den „Sternensingern“, die durchs Dorf gehen, wahlweise entweder „Lieder über Sterne“ bzw. „ausgereifte Liedern, welche Sterne“. Ein für österreichische LeserInnen sehr klares Bild, wird damit in den Übersetzungen wesentlich schwieriger nachvollziehbar und mitunter unverständlich. 

Ich und Du

Ein Spezifikum des Russischen (wie generell der slawischen Sprachen) ist, dass das Geschlecht eines Subjekts u.a. auch durch Verben und Adjektiv angezeigt wird (indem die Endung jeweils angepasst wird). Das hat zur Folge, dass in vielen russischen Übersetzungen das Ich und das Du aus vielen Lavant-Gedichten geschlechtlich markiert werden, während im Deutschen eine solche Zuteilung in den meisten Fällen ausbleibt. Damit passiert häufig eine Festlegung in der Übersetzung, und somit auch schon eine Interpretation. Wenn zum Beispiel das Ich als weibliches Ich fixiert wird und das Du als männliches Du, verkleinert das den Interpretationsspielraum erheblich. In einem der in der Arbeit analysierten Gedichte wird das Ich als männlich fixiert, was – angesichts der starken Rückbindung an die Autorin – sogar einen noch größeren Eingriff in die Interpretationsmöglichkeiten darstellt. 

Nach diesem Einblick lässt sich die Frage nach der Übersetzbarkeit der Lyrik Lavants abschließend vielleicht wie folgt zusammenfassen: Es ist nicht unmöglich, aber einfach ist es nicht! Das soll keinen Grund darstellen, keine Lyrik-Übersetzungen mehr zu lesen, sondern vielmehr eine Aufforderung dazu sein, in Zukunft den eigenen Umgang mit Übersetzungen zu überdenken und sich jedenfalls dessen bewusst zu sein, dass es sich eben um eine Übersetzung und damit ein Stück weit auch um eine Interpretation des Originals handelt. 

Zu guter Letzt sollen für des Russischen Kundige hier noch beispielhaft zwei Übersetzungen ein und desselben Lavant-Gedichtes präsentiert werden: 


Christine Lavant 

Aus: ,Die Bettlerschale‘

Es riecht nach Schnee, der Sonnenapfel hängt

so schön und rot vor meiner Fensterscheibe;

wenn ich das Fieber jetzt aus mir vertreibe,

wird es ein Wiesel, das der Nachbar fängt,

und niemand wärmt dann meine kalten Finger.

Durchs Dorf gehen heute wohl die Sternensinger

und kommen sicher auch zu meinen Schwestern.

Ein wenig bin ich trauriger als gestern,

doch lange nicht genug, um fromm zu sein.

Den Apfel nähme ich wohl gern herein

und möchte heimlich an der Schale riechen,

bloß um zu wissen, wie der Himmel schmeckt.

Das Wiesel duckt sich wild und aufgeschreckt

und wird vielleicht nun doch zum Nachbar kriechen,

weil sich mein Herz so eng zusammenzieht.

Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet,

wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?

Den Apfel hat schon jemand weggenommen …

Doch eigentlich ist meine Stube gut

und wohl viel wärmer als ein Baum voll Schnee.

Mir tut auch nur der halbe Schädel weh

und außerdem geht jetzt in meinem Blut

der Schlaf mit einer Blume auf und nieder

und singt für mich allein die Sternenlieder.




Übersetzung: O. Dumler

Запахло снегом, солнце за окном

на яблоко созревшее похоже;

мне жарко, но тепла я не тревожу:

сбежит к соседу маленьким зверьком,

и мне никто уж не согреет руки.

О звездах песен ждут мои подруги

от тех, кто к ним придет сегодня в дом,

и грустно мне, хоть страх мне незнаком,

грущу сегодня больше, чем вчера.

Я знаю, яблоко сорвать пора

и запах кожуры вдохнуть украдкой,

чтоб запах неба наконец узнать.

Зверек мой, ласка, собралась бежать

к соседу, видно, ей со мной не сладко,

и сердце вдруг сжимается в комок.

А небо наклонилось бы само

к тому, кто вверх поднимется едва ли?

Но вот куда-то яблоко убрали …

Так славно в моей комнате зимой,

у дерева в снегу все ж холоднее …

Боль в голове становится слабее,

и вот уже приходит сон цветной,

баюкает меня, меня качает

и песни звездные лишь мне слагает.




Übersetzung: Svetlana Odinzova

Так пахнет снегом, солнце зависает

Красивым яблоком златым за рамой,

И если жара след стряхну туманный,

Он лаской станет, что сосед поймает.

Тогда никто руки мне не согреет.

В селе, наверно, нынче песни зреют

Что звезды; будут петь и сестрам нашим.

Печальней нынче я, чем днем вчерашним,

Но уж давно забыла кроткой быть.

И яблоко хотелось бы впустить,

И в чаше дух его тайком вкусить,

Но только, чтобы неба вкус узнать.

И ласка будет прыгать и стонать,

Чтоб все-таки к соседу уползти,

Ведь сердцу тесно моему в постели.

А небо может падать на колени,

Коль нету сил совсем к нему подняться?

И к яблоку другой уж смог добраться …

Но комнатка моя притом добрей

И в ней теплей, чем дереву под снегом.

И полон череп вполовину бредом,

Восходит сон в крови моей скорей

С цветком покорным снова. И уходит.

И для меня одной песнь звезд приходит.



Text: Hanna Biller

Für Interessierte finden sich alle Quellenangaben und die gesamte Arbeit „Die Lyrik Christine Lavants in russischer Übersetzung“ unter folgendem Link zur Nachlese: http://othes.univie.ac.at/21840/1/2012-08-13_0507978.pdf

Hanna Biller ist unter anderem Literaturwissenschaftlerin und hat ihr Studium der Slawistik und ihr Studium der Germanistik mit Diplomarbeiten über die Lyrik Christine Lavants abgeschlossen. Mit diesem Beitrag verabschiedet sie sich nach knapp drei Jahren von ihrer Rolle als Projektassistentin der Internationalen Christine Lavant Gesellschaft.

Interview mit dem Fotografen Ernst Peter Prokop

© Ernst Peter Prokop

Annemarie Türk: Sie haben 1963 Christine Lavant in ihrer Wohnung in St. Stefan im Lavanttal fotografiert und dabei ist ein beeindruckender Zyklus von 20 Bildern entstanden. War dies Ihre erste Begegnung mit der Dichterin?

Ernst Peter Prokop: Durch ein Foto von Franz Hubmann und Bilder von Werner Berg, wurde ich auch optisch auf Christine Lavant aufmerksam. Ihr ausdrucksstarkes Gesicht wollte ich unbedingt vor meine Kamera bekommen.

Im Oktober 1962 hatte ich eine Fotoausstellung in der Aula des Landesmuseums für Kärnten. Bei dieser lernte ich eine Gruppe angehender Lehrerinnen der LBA Klagenfurt kennen. Dabei war auch Barbara Grass, damals Schülerin der Lehrerbildungsanstalt, sie musste eine Arbeit bei Prof. Haselbach entweder über Ingeborg Bachmann oder Christine Lavant schreiben. Sie entschied sich für letztere. Ich bat sie, sie möge mit Christine Lavant einen Termin vereinbaren. Trotz hartnäckiger Anfragen von Barbara Grass sagte Christine Lavant mehrfach ab, –  „Barbara, du Sargnagel, gibst noch immer keine Ruhe“.  Im Mai 1963 gewährte sie doch einen Termin mit mir als Fotografen. Sie gab dabei auch zu verstehen, dass sie gerne für Fotos zu Verfügung stehe.

Der erste Termin war zu Allerheiligen 1962 geplatzt, der mir aber wahrscheinlich mein Leben rettete. Zwei Freunde wollten mit mir den Stüdelgrat auf den Großglockner gehen, ich sagte ihnen ab. Die beiden sind auf dieser Tour leider durch Blitzeis ums Leben gekommen.

Im Mai fuhr ich schließlich mit meinem Puchroller von Klagenfurt zuerst nach Wolfsberg, holte Barbara vom Autobus ab, und dann weiter nach St. Stefan in die Mansarden Wohnung von Christine Lavant.

Türk: Können Sie uns etwas erzählen über die Umstände und die Atmosphäre, in der diese Aufnahmen entstanden sind?

Prokop: Sie begrüßte uns sehr freundlich, beschwerte sich aber gleich, dass sie nun wieder einheizen müsste und kochen, da auch Kaffeekochen so gar nicht ihre Stärke sei. Barbara wurde angewiesen den kleinen Ofen einzuheizen, was ihr nicht auf Anhieb gelang. Christine Lavant reagierte darauf ziemlich ungehalten. Schließlich hat dann doch alles gepasst.

Ich bat sie mir ein Autogramm in einen Paperback Band ,Wirf ab den Lehm‘ zu geben. Sie sah mich von unten sehr verschmitzt an und sagte, dass sie gar nicht schreiben könne. Auf meinen nochmaligen Wunsch hin und den Einwand, dass ich das nicht glaube, machte sie 3 Kreuze ins Buch. Nach meinem abermaligen Prostet schrieb sie dann doch gutgelaunt ihren Namen ins Buch.

Inzwischen trafen drei Germanistikstudenten ein, sie meinte, dass sie zu wenig Platz für sie hätte, aber dann blieben sie doch längere Zeit.     

© Ernst Peter Prokop

Türk: Christine Lavant wirkt auf allen diesen Fotos entspannt, sehr wach und aufmerksam und scheint der Kamera keine Aufmerksamkeit zu schenken…

Prokop: Es war für mich ein Zusammentreffen glücklicher Umstände: Durch die Diskussionen, denen Christine Lavant konzentriert folgte, war sie von der Kamera abgelenkt, und die Tischlampe wirkte wie eine Fotoleuchte mit sehr wenig Licht. Dabei rauchte sie ununterbrochen ihre filterlosen Players Navy Cut Zigaretten. Es ging bei der Diskussion um ihren Briefverkehr mit Martin Buber und anderen deutschen Dichtern und Intellektuellen. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass ihr das Fotografiert werden Spaß machte, sie dabei auch belustigt und unterhaltsam reagierte. 

Mich faszinierten vor allem ihre Augen und ihr ausdrucksstarkes Gesicht mit dem sich ständig veränderten Ausdruck und den lebendigen Bewegungen ihrer Hände.

TürkHaben Sie ihr diese Fotos gezeigt und wie hat sie darauf reagiert?

Prokop: Es entstanden dabei 30 Aufnahmen, die ich auch als Mappe anbiete und auch schon bei mehreren Ausstellungen gezeigt habe (wie zuletzt im Literaturhaus Wien bei ,Ich bin wie eine Verdammte die von Engeln weiß‘ 2019)

Sie hat von mir dann auch einen Teil der Fotos erhalten, die ihr sehr gut gefielen.

Türk: Kam es zu weiteren Treffen und gibt es eventuell auch noch andere, bislang nicht gezeigte Fotos?

Prokop: Barbara Grass hat mir versichert, dass sie einen neuen Fototermin haben wollte, zu dem es dann aber leider nicht mehr kam. 

Als Pressefotograf traf ich sie noch öfters bei verschiedenen Veranstaltungen, Lesungen und Konzerten, bei denen es jedoch nicht möglich war ein Gespräch zu führen.

 Auf der Website von Ernst Peter Prokop finden Sie weitere Informationen: fotoprokop.com

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