© Foto: Gudrun Hamböck

AT: Neben vielen anderen Literaturprogrammen gestalten Sie auch „Du holde Kunst“, ein Feature mit    langer Tradition und noch immer von vielen sehr gerne gehört. In ihrer Literaturauswahl finden sich in schöner Regelmäßigkeit Gedichte von Christine Lavant. Warum ? Ist dies ihren persönlichen Vorlieben geschuldet oder weil man an dieser Größe der österreichischen Literatur einfach nicht vorbei kann.

Gudrun Hamböck: Zweiteres. Christine Lavants Lyrik ist von hoher Qualität und damit relevant für die Sendung „Du holde Kunst“. Zudem ist sie auch thematisch vielfältiger, als man glauben würde, wenn man sich noch nicht vom Lavant-Klischee der religiösen Schmerzensfrau gelöst hat. Ich denke da zum Beispiel an die ziemlich unverklausulierte Erotik in ihren nachgelassenen Gedichten, aber auch an ihre wunderbaren Naturgedichte und natürlich an diese interessante Ambivalenz in ihrem Gottesbegriff. Daher sind ihre Gedichte auch in Sendungen verschiedenster Thematiken einsetzbar.

AT: Was macht für Sie die Besonderheit dieser Kärntner Dichterin aus, die in ihren Texten so weit über die Enge ihrer Heimat und den schwierigen persönlichen Verhältnissen, hinauswuchs ?

Gudrun Hamböck: Das Existenzielle ihrer lyrischen Stimme, einer Stimme, die sich zu artifiziell gestaltet, um bloß Selbstoffenbarung zu sein.

AT: Die Werke der Christine Lavant zählen zu den Standards der österreichischen Literatur und dennoch sind diese noch nicht so im Bewusstsein auch der literarisch interessierten Öffentlichkeit verankert. Dazu kommt, dass über Jahrzehnte ein Bild ihrer Persönlichkeit gezeichnet wurde, das ihr nicht entsprach und ihr nicht gerecht wurde. Warum ist das so und wie, glauben Sie, kann man dem entgegen arbeiten ?

Gudrun Hamböck: Im restaurativen Nachkriegsösterreich wurde Christine Lavants Dichtung zwar als ideologisch unbelastet gefördert, aber sehr eng katholisch interpretiert. Die Gedichte, die nicht ins Bild passten, blieben unveröffentlicht. Als dann die Dichtung in Deutschland eine politisch engagierte wurde und in Österreich mit der Wiener Gruppe avantgardistisch, verschwanden ihre Gedichte aus den Anthologien. Dazu kommt, dass ihr Werk bis heute von ihrer Person „verstellt“ wird.

Entgegengearbeitet wird dem Lavant-Klischee schon eine Weile; bereits Thomas Bernhards Auswahlbändchen bei Suhrkamp in den späten 1980ern hat da einen Grundstein gelegt. Heute ist es vor allem die ausgezeichnete Werkausgabe von Klaus Amann im Wallstein Verlag, die das Lavant-Bild verändert. Und die Ö1 Literaturredaktion mit den Lyrik-Sendungen „Du holde Kunst“ und „Nachtbilder“, dem Hörspiel („Das Wechselbälgchen“, „Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus“) u.a. versucht auch ihren Teil dazu beizutragen. Der 100. Geburtstag Christine Lavants etwa wurde auf Ö1 mit einem Programmschwerpunkt quer durch zahlreiche Sendungen gefeiert.

AT: Bis jetzt haben Sie in meiner Wahrnehmung vor allem Lyrik von Christine Lavant in ihren Sendungen gebracht, – wie denken Sie über ihre Prosa-Texte, die in der nunmehr vorliegenden 4-bändigen Werkausgabe, zum Teil erstmals publiziert wurden ?

Gudrun Hamböck: Ich muss zugeben, dass ich mich – mit Ausnahme des „Wechselbälgchens“ –  mit Lavants Prosawerk bisher nur oberflächlich befasst habe. Eine Lücke, die ich bald schließen werde. So weit ich das sagen kann, scheint mir ihr Prosawerk stärker in ihrer Zeit verhaftet zu sein, als ihre Lyrik.

AT: Planen Sie weitere Sendungen, in denen Werke von Christine Lavant zu hören sein werden ?

Für den 2. Oktober, dem Sonntag, an dem die/der neue Preisträger/in 2022 im Radiokulturhaus vorgestellt wird, planen Sie ein „Du holde Kunst“, Gedichte gelesen von Martin Vischer  – können sie uns schon verraten, was uns hier erwartet ?????

Gudrun Hamböck: Lavant-Gedichte werden in nächster Zeit in mehreren Ausgaben von „Du holde Kunst“ zu hören sein. Am 22. Mai liest Silvia Meisterle unter dem Motto „Unter dem Schutthaufen der Zeit hüte ich die Hoffnung“ Gedichte zu weiblicher Tapferkeit, von Lavant u.a. das wunderbare „Jedes Leid fällt von selbst“. Gleich am Sonntag darauf, am 29. Mai, liest Till Firit unter dem Motto „Drin in den Alpen ists noch helle Nacht“ Berggedichte – darunter eines von Christine Lavant. Und „Du holde Kunst“ am 2. Oktober ist ihr zur Gänze gewidmet. Martin Vischer wird acht ihrer Herbstgedichte lesen. Sie hat ja, wie ihr erstes Vorbild Rainer Maria Rilke, eine Menge davon geschrieben. Außerdem wartet noch eine schöne Sendung mit Liebesgedichten aus dem Nachlass, die ich mit der großartigen Andrea Jonasson 2018 aufgenommen habe, im Archiv darauf wiederholt zu werden.

Gudrun Hamböck ist Literaturredakteurin bei Ö1 und Producerin der Sendereihe „Du holde Kunst“.